Freitag, 25. November 2016

Der Sprachcode des Generalkapitels

Am Tag nach dem Abschlussgottesdienst bin ich dabei, meine Erfahrungen und vor allem die Inhalte der Beratungen etwas zu sortieren. Dazu könnte ich die Beschlüsse und Entscheidungen durchgehen. In des Morgens Frühe hing ich aber einem anderen Gedanken nach: Welche Worte, welche Begriffe haben unsere Gespräche in den letzten Wochen geprägt? Gab es einzelne Codeworte mit hoher Konjunktur? Tauchten Worte neu auf, während andere verschwanden? Wie war es also um den Sprachcode des Generalkapitels bestellt? Ich meine, dass auf diese Weise manches deutlich wird, in welche Richtung es die letzten Wochen ging und was der Weg unserer Ordensgemeinschaft in den nächsten Jahren sein kann. Klarerweise gibt es redemptoristische Codeworte, die zu keiner Zeit fehlten: "Erlösung" gehört dazu, "überreiche Erlösung", wie wir in unserer Tradition sagen, gemäß dem Wort aus Psalm 130: "Bei Ihm ist die Erlösung überreich". Das andere Wort aus unserer Tradition, welches immer wieder präsent war - und mit dem Wort eine harte gesellschaftliche Realität überall auf der Welt: "die Armen" bzw. "die am meisten Verlassenen". Schon der hl. Alfons wusste sich zu diesen Menschen besonders gesandt. Wenig haben wir am Generalkapitel über die in der Vergangenheit manchmal heftig umstrittene Frage diskutiert, wer eigentlich konkret zu dieser Gruppe gehört. Ein Konsens schien aber darin zu bestehen, dass es um die wirklich Armen geht, also um die materiell Armen, um die Menschen mit ungenügenden Lebenschancen. Kardinal Tagle hat uns jedoch geholfen, den Armutsbegriff tiefer zu deuten. Er sprach vom "arm-sein" als "verwundet-sein". Das Wortfeld "Verwundungen-Wunden" begleitete uns während des ganzen Generalkapitels. Es ging um die Wunden der Armen, zu denen wir gesandt sind, aber auch um die Wunden innerhalb unserer Ordensgemeinschaft, um die Wunden im konkreten gemeinschaftlichen Zusammenleben. Damit ist schon das nächste Codewort angegeben: "Gemeinschaftsleben - Leben in Gemeinschaft". Dass diese Lebensform eine erste Form der Verkündigung des Evangeliums sei, haben bereits frühere Generalkapitel festgestellt. Auf unserem Kapitel wurde das Gemeinschaftsleben immer wieder unterstrichen, und es wurde in negativer Weise viel vom heutigen Individualismus gesprochen, der es angeblich gefährdet. Ob wir allerdings den "Individualismus" ausschließlich als Negativparole sehen sollen, darüber bin ich persönlich mir nicht so sicher. Doch für die Frage, wie Gemeinschaftsleben im Rahmen einer als positiv zu bewertenden individualistischen Lebenskultur möglich ist, war unter den Kapitelsmitgliedern wenig Platz. Eher schon wurde diskutiert, von welcher Art unser Wirken angesichts der "Säkularisierung" - ebenfalls ein häufig vorgekommenes Wort - zu sein habe. Die Mehrheit der Kapitelsmitglieder war meiner Einschätzung nach der Ansicht, dass die moderne Säkularsierung der Lebenswelten nicht ausschließlich als Feind gesehen werden darf. Zusammen mit der Sensibilität für die Säkularisierung tauchte in unseren Beratungen auch immer wieder das Wort "Dialog" auf. Bei unseren asiatischen Mitbrüdern spielt der Dialog mit anderen Religionen eine wichtige Rolle. Sie sehen diesen Dialog zunehmend als ein wichtiges Instrument ihrer Verkündigung, und es scheint so zu sein, dass die meisten von ihnen einen ernsthaften Dialog meinen, der mit dem Zuhören beginnt. Ein anderes Wort, das uns durch alle Wochen begleitete war "Solidarität" in allen möglichen Richtungen: Solidarität mit den Armen, Solidarität im gemeinsamen seelsorglichen Wirken, Solidarität mit den Mitbrüdern in Afrika und Madagaskar, Solidarität zwischen stärkeren und schwächeren Ordensprovinzen, aber auch Solidarität mit dem verwundeten Planeten Erde. Letzterer Gedanke wurde ebenfalls stark von den asiatischen Mitbrüdern eingebracht, er gehörte aber zum "Common sense". Selbstverständlich war viel von "Mission" die Rede. Dabei ergibt sich für uns Deutschsprachigen ein Problem. In den meisten Sprachen wird "Mission" als Lehnwort aus dem Lateinischen verwendet und nicht übersetzt. In der deutschen Sprache übersetzen wir dagegen und sagen "Sendung" - gemeint ist das Gesendet-sein von Gott bzw. Christus. Wohingegen das lateinische Lehnwort "Mission" in der deutschen Sprache eine besondere seelsorgliche Form meint: ein pastorales Wirken mit dem Ziel der Glaubensvertiefung bzw. der Hinzugewinnung neuer Gläubiger. Wenn also im Generalkapitel die Rede von "Mission" war, dann immer in dieser doppelten Bedeutung: Sendung und besondere seelsorgliche Form. Großteils einig waren wir uns aber, dass "Mission" nicht bloß auf die traditionelle Form der "Volksmission" bzw. "itineranten Mission" einzuengen ist. Eher ist gemeint: intensive Verkündigung des Wortes Gottes im unverzichtbaren Dialog mit unserer Zeit. Im Zusammenhang mit dem Leitbegriff "Mission" war übrigens immer wieder auch von "Strukturen" bzw. "Erneuerung der Strukturen" die Rede. "Strukturen müssen der Mission dienen" hatte bereits das letzte Generalkapitel formuliert, auf dieser Spur bewegten wir uns weiter, ohne meiner Meinung nach freilich zu wissen, was dies in seiner ganzen Tiefe bedeutet. Immerhin gibt es diesbezüglich ein Bewusstsein und einen Suchprozess. Zu diesem Suchprozess gehört schließlich das große Thema "Konferenzen", also jene Struktur, die ebenfalls bereits vom letzten Generalkapitel als Mittelebene zwischen Generalleitung und Provinzialebene eingeführt wurde. Diese Konferenzstruktur (Europa, Nordamerika, Lateinamerika, Asien und Ozeanien, Afrika und Madagaskar) beschäftigte uns sehr, entsprechend häufig kam das Wort vor.  Deutlich an Bedeutung verloren hat während des Generalkapitels allerdings der Begriff "Koordinator" als Bezeichnung für die Koordinierungspersonen der Konferenzen. Diesbezüglich ist signifikant, dass wir per Kapitelsentscheid den Koordinatoren nicht die Funktion von "Höheren Oberen" zuerkannt haben. Die entsprechenden Vollmachten bleiben weiterhin alleine beim Generaloberen und bei den Provinzialoberen. Eine strukturelle Frage auf einer ganz anderen Ebene kam mit der Beteiligung von Laienassoziierten während der zweiten Kapitelswoche auf. Es wurde uns deutlich vor Augen geführt, dass unsere Mission nicht nur unsere Mission, sondern die Mission einer ganzen "redemptoristischen Familie" ist, zu welcher neben den Patres, den Brüdern und den verwandten Schwesternorden bzw. -kongregationen auch Laienchristinnen- und christen gehören. Dementsprechend wurde häufig von "partnership in mission - Partnerschaft in der Mission" gesprochen. Wir sollten uns in der Zukunft dringend an dieses Wort und an die entsprechende Realität gewöhnen und sie fördern. Soweit einige Beobachtungen zum Sprachcode des Generalkapitels. Gegen Ende hin fiel mir auf, dass ein englisches Wort häufiger als am Anfang Verwendung fand, nämlich "to go forth - weitergehen, nach vorne gehen". Um dies tun zu können, braucht es einen Weg mitsamt Wegmarkierungen. Mir persönlich sind die genannten Worte eine wichtige Hilfestellung.

Br. Carlito Gaspar (Philippinen) - einer der um das Gewicht von Worten weiß.

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